Selbstbestimmt wohnen mit Unterstützung
Wer das Ladenlokal betritt, steht in einem großen, freundlichen Raum. Es gibt Tische und Stühle, eine Küchenecke mit Tresen und dahinter ein weiterer, kleinerer Aufenthaltsraum. An einem der Tische sitzt Michaela. Sie ist ganz vertieft in ihr Buch über den Sänger George Michael, den sie über alles liebt, wie sie erklärt. Die 68-Jährige wohnt ganz in der Nähe, in einer eigenen Mietwohnung. Frau Beck und eine weitere Betreuerin besuchen sie regelmäßig, um sie im Alltag zu unterstützen. „Wenn ich keine Betreuung hätte, wäre das ganz schlecht“, sagt Michaela: „Allein könnte ich nicht die Lichterketten auf den Balkon anbringen.“ Herr Wipprecht, Bereichsleiter Neukölln bei der Aktion Weitblick, erklärt, dass sich die Betreuung immer nach dem jeweiligen Bedarf richtet. Das kann Hilfe beim Einkaufen sein, Unterstützung beim Sauberhalten der Wohnung oder auch einfach ein Gespräch.
Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben
Aktion Weitblick, ein Träger der Behindertenhilfe, bietet seit rund 30 Jahren Betreutes Wohnen für Menschen mit Lernschwierigkeiten, psychischen Beeinträchtigungen oder einer so genannten „geistigen Behinderung“ an . Das Ziel ist es, Menschen bei einem möglichst selbständigen Leben zu unterstützen und ihnen so soziale Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Insgesamt gibt es rund 300 Plätze in Berlin. Es sind unterschiedliche Wohnformen. So betreibt die gemeinnützige GmbH therapeutische Wohngemeinschaften, beispielsweise in der Braunschweiger Straße, wo vier Männer mit einer psychischen Erkrankung leben. Jeder hat ein Einzelzimmer, ein Betreuer oder eine Betreuerin ist stundenweise anwesend. Gemeinsam werden auch Ausflüge unternommen, etwa zum Körnerpark oder ins Schwimmbad. Außerdem hat Aktion Weitblick mehrere Trägerwohnungen angemietet, wo Klientinnen und Klienten im Betreuten Einzelwohnen leben und stundenweise unterstützt werden. Auch im Haus Erkstraße 19 gibt es zwei solcher Trägerwohnungen. Betreut werden aber auch Menschen wie Michaela, die in einer eigenen Mietwohnung leben.
Starke Nachfrage nach Plätzen
„Der Bedarf nach Betreutem Wohnen ist stark gestiegen“, sagt Wipprecht. „Ich bekomme fast wöchentlich Anfragen nach einem Platz und muss dann leider passen.“ Neue Wohnungen zu akquirieren ist beim derzeitigen Wohnungsmarkt fast aussichtslos. Das Schlimme sei, dass auch viele Klient*innen, die nach einer Weile wieder fit genug sind für eine eigene Wohnung, einfach nichts finden. „Dabei wäre das ein ganz wichtiger Schritt“, so Wipprecht.
Fasching feiern und Freunde finden
Das Ladenlokal in der Erkstraße ist Treffpunkt und Beratungsstelle in einem. „Die Besonderheit ist, dass es hier völlig ungezwungen zugeht, man kann einfach ohne Termin vorbeikommen“, sagt Wipprecht. Beispielsweise um sich über die Angebote im Betreuten Wohnen zu informieren. Manchmal geht es auch um ein entlastendes Gespräch oder soziale Kontakte. „Hier sind viele Freundschaften entstanden“, sagt Betreuerin Frau Beck. Normalerweise finden hier auch Halloweenparties statt, es wird Fasching gefeiert oder gemeinsam gefrühstückt. Auch eine Kochgruppe trifft sich hier. Doch wegen der Pandemie mussten sämtliche Gruppenangebote auf Null gefahren werden. Die offene Sprechstunde findet aber wieder statt.