Verborgenes Kleinod des Reformwohnungsbaus

Wart ihr schon mal in der Ideal-Passage? Nein, das ist keine Einkaufspassage, sondern eine Wohnanlage mit bunten Wandgemälden, grünen Innenhöfen und Hühnern auf den Mülltonnen - natürlich keine echten. Ihr gelangt zu dieser beschaulichen Idylle, wenn ihr durch das Eingangstor der Weichselstraße 8 geht, neben dem Peppi Guggenheim. Oder ihr kommt von der anderen Seite, der Fuldastraße 55-56

Fotos: Birgit Leiß

Die Ideal-Passage gilt noch heute als Vorzeigebeispiel für soziales und gesundes Wohnen. „Schön wohnt es sich hier“, bestätigt eine Bewohnerin:  „Und wenn die Karate-Schule nicht gerade Krach macht, ist es auch total ruhig“. „Die Wohnungen sind sehr gut geschnitten und bezahlbar“, erzählt eine andere Mieterin, die seit 1992 in der Anlage wohnt. Eine enge Nachbarschaft gebe es allerdings nicht.

Wenn Ärzte, Apotheker und eine Krankenkasse bauen

Um Häuser mit Licht, Luft und Sonne zum gesunden Wohnen ging es der „Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Rixdorf“ im Jahr 1906. Sie hatte das Grundstück gekauft und wollte hier neben einem Verwaltungsgebäude rund 200 Wohnungen errichten. Doch der damalige Stadtrat von Rixdorf wollte das nicht genehmigen. Begründung: Wohnungsbau gehöre nicht zu den Aufgaben einer Krankenkasse. 1907 wurde daraufhin von der AOK sowie Ärzten und Apothekern die „Baugenossenschaft Ideal“ gegründet. Mit dem Bau wurden die Architekten Willy und Paul Kind  beauftragt. Dem allgegenwärtigen Mietskasernenelend wollten die Bauherren bewusst etwas entgegensetzen. Die Ausstattung der Wohnungen war für damalige Zeiten einmalig. Zentralheizung, Warmwasserversorgung, Waschküchen auf dem Dachboden, viele Mieter hatten Balkone– in der Ideal-Passage ließ es sich gut leben. Eine kleine Sensation war die zentrale Entstaubungsanlage, eine Art Zentral-Staubsauger, der auch heute noch nicht Standard ist.

Vom Dorfplatz zur Wolfsschlucht

Die Wohnanlage führte durch vier hübsch angelegte Innenhöfe von der Fuldastraße zur Weichselstraße. Sie wurden nach den Bühnenbildern der Oper „Der Freischütz“ von Carl-Maria von Weber gestaltet. Der erste Hof ist sozusagen der zentrale Dorfplatz, mit Heckeneinrahmung und Hainbuchendorn. Im „Waldhof“ ist ein Standbild des Jägerburschen Max zu sehen. Der dritte wurde als „bäuerliches Dorf“ mit Hahn, Ente, Bauer und Bäuerin gestaltet. Ein Springbrunnen sollte an einen Dorfteich erinnern. Der vierte Hof schließlich sollte die Wolfsschlucht darstellen. Einige Elemente wie etwa der Springbrunnen, existieren heute nicht mehr. Aber mit den alten Bäumen, den Skulpturen und den gepflegten Grünanlagen ist es noch immer eine grüne Oase mitten im Kiez. 2019, zum 111jährigen Bestehen der Anlage, haben Mitglieder der Ideal die Toreingänge mit Bildern aus der Oper bemalt, um an die Geschichte der Höfe zu erinnern.

Durch Zusammenlegung entstanden Wohnungen für Familien

Aus den ursprünglich 203 Ein- und Zweizimmerwohnungen wurden im Laufe der Zeit durch Zusammenlegungen 116 Wohnungen.  Ein Teil der Anlage gehört noch immer der Baugenossenschaft IDEAL, ein Teil ist in Privatbesitz.

Die denkmalgeschützte Wohnanlage ist tagsüber frei zugänglich. Nur nachts werden die Tore verschlossen.