Quartiersrat on Tour

Wer hätte gedacht, dass Marzahns Hochhäuser ein wenig an die Skyline von Dubai erinnern? Solche und andere persönliche Sichtweisen erfuhren die Quartiersratsmitglieder und andere Interessierte bei einem geführten Kiezrundgang am 29.10.

Fotos: Birgit Leiß

Seit März haben sich die Quartiersratsmitglieder nur noch auf dem Bildschirm gesehen. Mit Beginn des Lockdowns finden die Sitzungen als Videokonferenzen statt. Damit man sich mal endlich wieder persönlich treffen kann, hatte sich das Team des Quartiersmanagement etwas Besonderes ausgedacht: eine Stadtführung mit einem Neu-Berliner. Treffpunkt war um 19 Uhr vor dem Quartiersbüro, wo sich Mohamad vom Verein querstadtein vorstellte. Der 24-Jährige ist Kurde und in Aleppo aufgewachsen. Von dort aus ging es mit Abstand und Maske durch den Kiez.  An der ersten Station in der Schönstedtstraße erzählt Mohamad ein wenig aus seiner alten Heimat Syrien und dem schrecklichen Bürgerkrieg, der dort tobt.

Eine unfreiwillige Flucht nach Berlin

An der zweiten Station am Alfred-Scholz-Platz wurde es dann sehr persönlich. Die Flucht von Istanbul aus, wo er ein Jahr lang vergeblich auf ein Visum für Deutschland wartete, dann die gefährliche Fahrt mit dem Schlauchboot übers Meer und schließlich die Balkan-Route, wo er zusammen mit anderen Geflüchteten 2015 das letzte Stück ab Salzburg zu Fuß über die Autobahn zurücklegte – Geschichten wie diese kennt man aus den Medien. Und doch ist es etwas ganz Anderes, sie aus dem Mund eines Menschen zu hören, der all dies durchgemacht hat. „Ich wollte nie weg aus Syrien, ich war glücklich dort“, betonte der junge Mann: „Niemand verlässt freiwillig sein Land und seine Familie, das können Sie mir glauben!“ Doch bei einem Verwandtenbesuch in der kurdischen Region wurde der damals 18-Jährige von IS-Kräften bedroht und sah keinen anderen Ausweg, als die Flucht nach Berlin, wo eine Tante wohnt.

Integration ist keine Einbahnstraße

Noch unter dem Eindruck dieser erschütternden Schilderungen lief die Gruppe zur Fuldastraße. Er liebe das bunte, vielfältige Neukölln, bekannte Mohamad. Aber weil alle hierher wollen, fand er hier keine Wohnung. In seiner neuen Heimat Marzahn fühle er sich sehr wohl und vor allem sei er sehr glücklich, endlich eine kleine Wohnung gefunden zu haben. Die Vorurteile über Marzahn kennt der junge Mann, der mittlerweile Maschinenbau studiert, zur Genüge. „Aber ich fühle mich fast wie in Dubai mit den Hochhäusern und außerdem: wo sonst in Berlin gibt es eine Seilbahn!“. Klar, Anfeindungen gebe es und mit der deutschen Hausordnung hat er auch so seine Erfahrungen gemacht. Bereits um kurz nach 20 Uhr beschwerte sich der Nachbar über sein Staubsaugen. Offen sein und die deutsche Sprache lernen – das war für den Neuankömmling das Wichtigste. Und manchmal entpuppt sich der Nachbar, der partout nicht zurückgrüßen will, einfach als schwerhörig und nicht etwa als Rassist. „Integration muss von beiden Seiten ausgehen“, findet Mohamad.

Schnitzeljagd in der Sonnenallee

Zum Schluss hatte sich Mohamad ein kleines Spiel ausgedacht. Die Teilnehmer*innen sollten Geschäfte in der Sonnenallee finden, deren Namen er in arabischen Buchstaben auf Zettel geschrieben hatte. Das klappte einfacher als gedacht, denn einige konnten arabisch lesen. Zur Sonnenallee fährt Mohamad immer, wenn er arabische Lebensmittel braucht. Etwa Molokhia-Blätter, die man für sein Leibgericht verwendet.

Es war ein gelungener Kiezrundgang, fanden alle und bedankten sich bei dem jungen Mann. 

Webredaktion