Spuren jüdischen Lebens im Donaukiez

Stolpersteine und ein interaktiver Stadtplan halten die Erinnerung an jüdische Nachbarinnen und Nachbarn wach.

Stolpersteine Karl-Marx-Straße 43, Foto: Jens Sethmann

Screenshot von www.mappingthelives.org

Man findet sie auf Schritt und Tritt: in den Gehweg eingelassene, kleine Messingplaketten, die an jüdische Hausbewohner*innen erinnern, die zwischen 1933 und 1945 von den Nazis verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden. Namen und Lebensdaten sind auf den „Stolpersteinen“ eingraviert und rufen so immer wieder in Erinnerung, dass hinter der anonymen Opferzahl Millionen einzelne Menschenschicksale stehen.

Stolpersteine machen Lebensgeschichten sichtbar

Die Stolpersteine werden vom Künstler Gunter Demnig hergestellt und verlegt. Oft sind es Hausgemeinschaften, einzelne Mieter*innen oder Hausverwaltungen, die die Geschichte früherer Bewohner*innen recherchieren und die Stolpersteine in Auftrag geben. Im Donaukiez gibt es zur Zeit 18 Stolpersteine.

Auf der Stolpersteine-Internetseite kann man auch die Lebensgeschichten vieler Nazi-Opfer nachlesen. So lebte zum Beispiel in der Karl-Marx-Straße 55 das Ehepaar Friedrich und Alice Abt mit ihrem Sohn Ralph. In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung mussten sie 1941 erst Alices Eltern Max und Hedwig Lasker aufnehmen, später auch noch das Ehepaar Samuel und Felicia Itzig mit ihrer erwachsenen Tochter Betty. Die Itzigs hatten bis zur Reichspogromnacht 1938 im Nachbarhaus ein Bekleidungsgeschäft. Sie alle wurden 1942 beziehungsweise 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Bedrückende Datenauswertung

Die Stolpersteine können nur einen kleinen Ausschnitt abbilden. Hier wie überall in Berlin gab es vor 1933 viel mehr jüdische Nachbar*innen. Als Ergänzung zu den Stolpersteinen hat Roderick Miller aus der Hobrechtstraße mit seinem Verein „Tracing the Past“ (deutsch: Auf den Spuren der Vergangenheit) Archive ausgewertet und die Namen früherer jüdischer Bürger*innen mit ihrer Wohnadresse in eine Landkarte eingetragen. Die Daten kommen vor allem aus der Volkszählung von 1939, bei der man angeben musste, ob ein Großelternteil jüdisch war.

Auf der Internetseite www.mappingthelives.org sind diese Daten auf einem Stadtplan verzeichnet. Jede Adresse, an der ein Verfolgte*r wohnte, ist mit einem Punkt gekennzeichnet. Wenn man diesen anklickt, kann man die Namen der jüdischen Bewohner:innen und deren Angehörigen sowie ihre Lebensdaten aufrufen. Man kann auch direkt nach Namen oder Adressen suchen.

Im Donaukiez reiht sich Punkt an Punkt. Allein in der Donaustraße sind 45 Personen verzeichnet. Der gesamte Donaukiez hatte laut der Volkszählung von 1939 rund 200 Einwohner*innen, die damals als „nicht-arisch“ galten. Auch das sind nicht alle, denn zu diesem Zeitpunkt sind die Juden in Deutschland schon weitestgehend rechtlos gemacht worden, so dass viele schon in den Jahren zuvor das Land verlassen hatten. „Mapping the Lives“ gibt einen beklemmenden Eindruck davon, wie der Holocaust in unseren Straßen begann. Wer sich ehrenamtlich für die Verlegung und Pflege der Stolpersteine engagieren möchte, findet weitere Informationen hier.

Webredaktion


Buchtipp:
Dorothea Kolland (Hg.): „Zehn Brüder waren wir gewesen…“ – Spuren jüdischen Lebens in Neukölln, Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2012, 608 Seiten, 335 Abbildungen, 29,90 Euro