Vom kaiserlichen Zollamt zum Geschäftshaus mit queer-feministischem Kunstraum
Das Verwaltungsgebäude in der Schönstedtstraße 7 ist zwar nicht so imposant wie das Rathaus oder das Amtsgericht an der Schönstedt-/Ecke Karl-Marx-Straße. Dafür hat es eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Erbaut wurde es 1913 bis 1915 als kaiserliches Hauptzollamt nach Plänen des Architekten Walter Kern. Zusammen mit dem Rathaus, dem Amtsgericht und dem Polizeipräsidium gehört es zum Verwaltungszentrum zwischen der heutigen Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee.
Das repräsentative Treppenhaus hat Charme
Zu den Aufgaben eines Hauptzollamtes gehörte nicht nur die Postzollabfertigung, sondern auch die Auszahlung der Pensionen. „An Tagen des stärksten Verkehrs in der Pensionszahlstelle wird ein Rückfluten dadurch vermieden, daß die anschließende zur Durchfahrt führende Nebentreppe den Ausgang bildet“, heiß es im Zentralblatt der Bauverwaltung von 1918. Ein Aktenaufzug führte von Erdgeschoss zum zweiten Obergeschoss, ein Paketaufzug verband die Postzellabfertigung mit dem Paketkeller. Im Souterrain befanden sich die Heizer- und Amtsdienerwohnung. Abgesehen von dem Fassadenschmuck und ein paar Skulpturen über dem Eingang wirkt das Verwaltungsgebäude recht profan. Doch das repräsentative Treppenhaus mit seinen Säulen, Stufen und Podesten ist - neben der Bedeutung des Verwaltungsgebäudes für das Stadtbild - eindeutig denkmalwürdig.
Nach dem Auszug des Finanzamts entsteht ein Wohn- und Geschäftshaus
Bis Ende der 1990er Jahre wurde die Schönstedtstraße 7 als Finanzamt genutzt, danach zogen die verschiedenen Dienststellen in die Sonnenallee 233 um. 2008 wurde das unter Denkmalschutz stehende Gebäude vom Land Berlin an den Architekten Michael Vetter verkauft. Danach wurde es unter anderem von der Werkschule Löwenherz und als Bildungsetage des Albert-Schweitzer-Gymnasiums genutzt. Im Zuge des Ausbaus zur Ganztagsschule mit Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt mussten nämlich einige Angebote ausgelagert werden. Schließlich sanierte Vetter das Gebäude denkmalgerecht und entwickelte es als Wohn-und Geschäftshaus. Im Innenhof entstand ein vierstöckiger Neubau mit 6 Mietwohnungen und 4 Gewerberäumen.
Yoga und Performances
Heute befinden sich im Alten Finanzamt unter anderem Rechtsanwaltskanzleien, psychotherapeutische Praxen und eine Beratungsstelle der AWO. „Die Räume sind recht klein, aber für solche Zwecke völlig ausreichend, zumal es Gemeinschaftseinrichtungen gibt“, sagt Michael Vetter. Die Mieten bleiben dadurch erschwinglich. Das Souterrain ist an Künstler*innen vermietet, darunter das queer-feministische Künstlerinnenkollektiv „Altes Finanzamt e.V.“, bestehend aus Musikerinnen, Performancekünstlerinnen und Schriftstellerinnen. Hier kann frau Yoga machen, Soundinstallationen lauschen oder andere Events erleben.