Die Kunst kommt online

Die erste digitale Ausgabe der 48 Stunden Neukölln vom 19. bis 21. Juni war ein spannendes Experiment – für Kunstschaffende wie Publikum

Fotos: Birgit Leiß

Alleine vor dem Bildschirm Kunst streamen statt durch den Kiez zu stromern und sich von Live-Performances auf der Straße überraschen zu lassen? Bei einem Kunstfestival, das so sehr von der Begegnung lebt wie das 48 Stunden Neukölln, ist eine digitale Ausführung nur schwer vorstellbar. Doch es wäre unverantwortlich gewesen, Zehntausende von Besucherinnen und Besuchern nach Neukölln zu locken, heißt es beim Kulturnetzwerk Neukölln. Der Verein organisiert das Festival seit nunmehr 22 Jahren. Als die Pandemie ausbrach, steckten die Kunstschaffenden bereits mitten in den Vorbereitungen. Auch das diesjährige Thema „boom“ stand bereits fest. Also ließen sich die Künstlerinnen und Künstler auf das Experiment ein und luden zu virtuellen Vernissagen, digitalen Atelierbesuchen, Videos, Online-Puppentheater und Live-Streams ein.

Vom Breakdance-Workshop bis zur Späti-Tour

Wie immer beschäftigen sich viele der über 200 Beiträge mit der gesellschaftspolitischen Realität. So wurden im  Videoclip „Gentrifikölln“ Gedanken von Neuköllner*innen zur Identität des Bezirks zwischen Vermüllung, Obdachlosigkeit, Verdrängung und Vielfalt zusammengetragen. Unterlegt war die Videocollage mit einem Drohnenflug zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten Neuköllns. Fotografische Impressionen vom Protest an Häuserwänden und Zäunen hatte Barbara Strobel in ihrem Beitrag „Berlin-Boom und Kiez-Kampf“ festgehalten. Viele Teilnehmende spielten mit dem Medium und hatten sich interaktive Formate ausgedacht. So konnte man bei Mariel Gottwicks „Lebe deinen Satz“ aus den Buchstaben von Werbeslogans eigene Sprüche kreieren. Bei einer Späti-Tour konnte man sich in drei Stationen Audiodateien aufs Handy laden und den Späti als kulturelle Begegnungsstätte des Kiezes kennenlernen.  Auch die Sparte „Junge Kunst Neukölln“ zeigte wieder mal die Kreativität der Jugendlichen. In Online-Workshops konnte man Breakdance lernen, bei einem Legetrickfilm zum Thema Kompost mitmachen oder mit persischsprachiger Anleitung Origami basteln.

Der Stadtraum wurde zur Galerie

Auch in dieser Corona-Ausgabe der 48 Stunden Neukölln wurde die Kunst auf die Straße getragen – wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaß als sonst. So wurde an 75 Bushaltestellen eine Postergallery präsentiert. Außerdem gab es mehrere Schaufenster-Ausstellungen, etwa am Peppi Guggenheim in der Weichselstraße. Blickfang und beliebtes Fotomotiv waren die knallgelben aufblasbaren Löwen vor dem Rathaus Neukölln. Die chinesischen Wächter-Löwen bäumten sich bei Wind auf – und fielen dann wieder in einen tiefen Schlaf. In der Passage in der Karl-Marx-Straße 131 saß Jennis Cheng Tien Li auf einem Stuhl neben ihrer Skulptur „Momenta“ und freute sich über Fragen. Und bei einer „Sugar Forever“-Performance auf dem Alfred-Scholz-Platz formte Fadi al-Hamwi Blöcke aus Zucker. Sie sollen auf den Krieg in Syrien und auf die Zerrissenheit von Vertriebenen hinweisen.

Das Experiment Corona-Ausgabe ist geglückt  

Die Veranstalter ziehen eine positive Bilanz. Trotz einiger technischer Probleme sei das Experiment im Großen und Ganzen geglückt. „Wir konnten dem Festival ein digitales Gesicht geben und vor allem auch bildende Kunst auf innovative Art und Weise digital vermitteln“, so das Kulturnetzwerk.

Webredaktion